Warum nicht? Eine Herberge ist weder Hotel, noch Seminarzentrum.
Eine Herberge bietet dir Schutz vor Kälte, vor Einsamkeit, vor Abwegen.
Ja, in einer Herberge kannst du nach dem rechten Weg fragen, wenn du dich ein Stück weit verlaufen hast, im äußeren oder im inneren Leben. Das Seelenleben ist natürlich unser wichtigstes Leben.
Darum der erste Wortteil: Tugend. Es ist ein altes Wort, aber brandaktuell, weil gerade das Fehlen von Tugenden im persönlichen und gesellschaftlichen Leben dazu geführt hat, dass wir heute vor einer relativ seelenlosen Welt stehen. Tugendhaftigkeit bedeutet die Kultivierung unserer Seelenkräfte, damit wir ein harmonisches inneres und äußeres Leben führen können.
Apropos Seele. Was bedeutet das wirklich, die Seele befreien? Fangen wir beim Konkreten an. Wir wissen alle, wie sich ein seelenloses Leben anfühlt. In unserem individuellen, alchemistischen Opus (Lebensdrama) erfahren wir, wie es sich auswirkt, wenn uns das Licht, die Brennkraft und das schöpferische Potential der Seele nicht zur Verfügung stehen. Wir fühlen uns getrennt von Gott und der Welt und am meisten von uns selbst.
Doch sobald das Licht der Seele zurückkehrt, beginnt eine graue Welt voller Probleme zu funkeln; die vielfältigen Qualitäten der Schöpfung werden dann sichtbar. Statt der endlosen Jagd nach Vergnügen ruft uns jetzt das Leben zur sinnvollen, leidenschaftlichen Teilhabe. Die Farben des Lebens sprechen wieder zu uns, erzählen uns ihre Geschichte, singen uns ihr Lied. Die Musik im Leben kehrt zurück, eine Musik, die die lebendige Schöpfung ist. Ein wirklicher Dialog zwischen unserem innerem Selbst und unserem äußeren Leben entfaltet sich, indem wir unmittelbar an dem sich enthüllenden Mysterium unseres lebendig werdenden Lebens teilhaben.
Darum hätten wir das Haus auch fast „das mystische Nest“ genannt. Weil die Herberge als Ort der Geborgenheit gedacht ist, wo die Seele in uns selbst und in der Welt lebendig werden kann.
Aber bitte nicht falsch verstehen. Mystik hat nichts mit Religion zu tun. Mystik ist natürliche Hingabe, ist Versöhnung mit allem, was ist in jedem Moment. Mystik ist also keine Flucht aus der Welt, sondern eine beständige Prüfung, ob wir mit der Welt in uns im Frieden sind.
Die Natur der Seele ist eine Wesensqualität, in der die Dinge einfach sind. Hier IST Frieden, IST Liebe und IST auch Macht. Wir werden diese Qualitäten nie bemerken und schon gar nicht wirklich leben, wenn wir dem Verlangen folgen, dem Gewöhnlichen, dem Weltlichen und Menschlichen zu entkommen, gefangen in den Fantasien und Dramen, die unser modernes spirituelles Leben durchdringen. Wenn wir nicht von der scheinbaren Komplexität des Lebens und den kollektiven Zerstreuungen abgelenkt sind, haben wir Zugang zu einer natürlichen Macht: die Macht, unser gemeinsames Leben in Ordnung zu bringen, sprich: zu heiligen.
Wenn wir das Natürlichste und Einfachste zulassen, gewinnen wir die spirituelle Kraft zurück, von der uns die Illusionen des Lebens so hartnäckig fernzuhalten versuchen.
Darum also „die Tugendherberge“, um einen Ort zu haben, an dem es leicht fällt, gemeinsam mit anderen das Licht der Seele wieder aus dem Würgegriff des Materialismus zu befreien, um andere Qualitäten im Leben zu erwecken, um andere Träume zu träumen, denen man gerne folgt.
Wenn wir gemeinsam unser Seelenleben stärken, werden wir das Leben anders wahrnehmen, wird eine andere Welt sichtbar werden.
Solange Materie tot ist und die Seele schläft, sind wir leicht durch die Attraktionen des Materialismus zu verführen. Wir sehen nichts anderes, was uns erfüllen könnte. Aber wenn wir zu unserer seelischen Wirklichkeit erwachen, sehen wir plötzlich eine andere Welt, die nicht dem Kaufen und Verkaufen angehört, sondern dem Mysterium der Seele.
Wer möchte nicht von problematischen Ansprüchen und Annehmlichkeiten zur Einfachheit der Liebe zurückkehren?
Wir hoffen sehr, dass die „Tugendherberge“ ein Beitrag zur Neuordnung einer seelenvolleren Gesellschaft ist.
Tom
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