Gerechtigkeit hat in einer Liebesbeziehung nichts zu suchen!
Gerechtigkeit ist die alte Leier: Auge um Auge, Zahn um Zahn! Da kommt nix Gutes bei rum.
Liebe hingegen ist das Gute bzw. die Güte. Um lieben zu können, müssen wir fähig sein, Güte zu ertragen und zwar in beide Richtungen – die nehmende und die gebende.
Ich will das erklären: Meistens sind wir durch den Gedanken motiviert, wir müssten für unsere Bemühungen belohnt werden. Auf dieser Motivation beruht unser ganzes Wirtschaftssystem. Was könnte uns denn sonst motivieren, irgendetwas zu tun, wenn nicht die Erwartung, etwas zurückzuerhalten? Ist es möglich zu leben ohne etwas für sich zurückzuverlangen?
Wenn ein Mensch zu einem anderen sagt: „Ich liebe dich“, so will er in den allermeisten Fällen vom anderen etwas zurückbekommen. In Wirklichkeit sagt er vielleicht: „Ich will dich“ oder „Ich will, dass du …“ Er möchte etwas für sich selbst. Viele Beziehungen sind darauf aufgebaut und so sind Streitigkeiten und Kämpfe die unvermeidliche Folge.
Nur selten geben zwei Menschen einander ohne Erwartungen und Hintergedanken, einfach so aus purer Freude, Dankbarkeit oder eben Güte.
Stellt euch vor, was für eine wundervolle Beziehung das wäre, wenn das gelingen würde!
Irgendwie fehlt es einfach an Vertrauen. Außerdem ist da noch die Angst, wir würden nicht die Liebe bekommen, die wir brauchen.
Vielleicht machen wir uns so viele Sorgen um uns selbst, weil wir nicht leiden möchten. Geben, ohne etwas zurückzuerhalten könnte man als eine Art Leiden ansehen – eine Ungerechtigkeit. Und wer will schon ungerecht behandelt werden. Lieber mehr als gerecht. Ich stoße immer wieder auf Menschen, die laut überlegen, was sie alles aus dem Leben herausholen können, ohne sich jemals zu überlegen, was sie dem Leben geben könnten. Sind diese Menschen jemals erfüllt? Nein. Sind sie im Frieden mit sich selbst? Nein.
Meine Erfahrung ist: Erfüllt und im Frieden mit mir selbst fühle ich mich vor allem dann, wenn ich dem Leben diene, meiner Frau diene, meinen Mitmenschen diene.
Jetzt kommt die Crux: Dienen ist nicht nur lustig. Dienen schmerzt auch. Und ja, es ist vor allem ein Gefühl der Ungerechtigkeit, das schmerzt. Ein gewisses „Leiden“ ist unvermeidlicher Bestandteil eines Lebens, das ganz dem Dienen gewidmet ist. Ich sage das nicht, um sinnloses Leid zu glorifizieren, sondern um ein Bewusstsein für das freiwillig ertragene Leid zu wecken, das jeden Geburts-, Wachstums-, oder Erneuerungsprozess begleitet. Gesundes Leben war noch nie bequem.
Und wenn Bequemlichkeit nicht unser Lebensziel ist und wir nicht nur für uns selbst leben wollen, sondern für eine erfüllte Beziehung leben oder für die Evolution des Planeten arbeiten, für den göttlichen Plan, dann müssen wir auch willig hinnehmen, was immer aus dieser inneren Verpflichtung resultieren mag. Durch diese Hinnahme und die Bereitschaft, alle Konsequenzen zu ertragen, wird aus Leiden „bewusstes“ Leiden. Und erst wenn wir bereit sind, bewusst durch ein Leiden hindurchzugehen, kann es schließlich zu einer Transformation kommen, zu etwas völlig Neuem, das sich unser linearer Gerechtigkeitsdenken überhaupt nicht vorstellen kann.
Ein Beispiel: wenn wir über den Frieden in der Welt nachdenken oder für den Frieden arbeiten, so führt das zunächst einmal zu einer Konfrontation, nicht zum Frieden. Wir glauben, wir würden Frieden schaffen, stattdessen schaffen wir jedoch eine Konfrontation, weil zahlreiche Kräfte entstehen und sich unseren Ansichten widersetzen werden. Der Friede verlangt eine Veränderung in der Welt und eine Menge Leute sind mit dieser Veränderung gar nicht einverstanden.
Auch in Beziehung kann man dieses Prinzip beobachten: Tatsächlich bringt alles, was wir aus den besten Absichten heraus tun, sein Gegensatz hervor, weil irgend etwas sich diesen Bestrebungen widersetzt.
Wenn wir von der rechten Absicht und von Güte erfüllt sind, dann können wir unserer Liebesbeziehung oder der Welt helfen, aber wir müssen die unvermeidliche Konfrontation und den anfänglichen Widerstand akzeptieren. Wenn wir bewusst und beharrlich durch diese „Ungerechtigkeit“ hindurchgehen, erwärmt sich unser persönliches AbwehrSystem. Und Wärme ist definitiv nötig, um Intimität, Frieden und Neues Leben auszubrüten.
Warum erzähle ich das alles? Weil ich festgestellt habe, dass viele Menschen es ablehnen, diese schlichte Tatsache zur Kenntnis zu nehmen. Schließlich ist es einfacher, die ganze Frage des Leidens auszusparen und stattdessen lieber in den höchsten Tönen von der Liebe zu sprechen oder uns der Spiritualität zu rühmen. Liebe und Dienen sind allerdings nicht so spektakulär, wie wir uns das gern vorstellen. Sie handeln nicht davon, dass man dafür einen „Oscar“ verdient. Sie haben mit Opfer zu tun und nicht mit Prestige oder Prämienausschüttung.
Ich möchte euch einladen, in aller Ruhe einmal darüber nachzudenken.
Schönes Wochenende!
Tom
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Erwachsen sind wir erst dann, wenn wir lieben können, obwohl wir hier und da von uns selbst, von anderen oder vom...
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