Alle spirituellen Lehren, die ich kenne, gehen davon aus, dass wir im GEIST alle eins sind. Ich stimme dem zu. Aber wenn wir diese Lehre auf unser Leben anwenden, müssen wir aufpassen, dass wir uns nicht ein idealisiertes soziales Nirvana vorstellen, das die unvermeidliche Komplexität menschlicher Beziehungen ignoriert und leugnet.
Wenn zwei oder mehr zusammenkommen, mag daran etwas Heiliges sein, wie Jesus meinte, aber genauso wahr ist, dass, wenn zwei oder mehr zusammenkommen, es auch zwei oder mehr Meinungen gibt, zwei oder mehr unterschiedliche Bedürfnisse. Die Möglichkeiten, dass es schwierig wird, vermehren sich exponentiell.
Wohlbefinden in Beziehungen ist möglich, aber die Suche nach einem Zustand, einem Himmel, einer egoistischen Seligkeit bringt Probleme. Nein, wir sind nicht alle gleich. Und in der Lehre der Einheit geht es auch nicht darum, alle Wesen gleich zu machen, sondern jedem Wesen zu ermöglichen, in die stärkste und gesündeste Version von sich selbst hineinzuwachsen.
Wie sieht es in unserer gemeinsamen Realität aus? Wir vergleichen uns miteinander. Und mehr noch versuchen wir, die anderen an uns anzugleichen. Das ist weit jenseits davon, dass wir einander in unserer Einzigartigkeit erkennen bzw. anerkennen. Wir müssen uns davor hüten, uns überlegen oder wichtiger als andere zu fühlen. Jeder von uns hat seine einmalige Bestimmung und nur wenn er die erfüllt, findet er seinen Platz im Ganzen, damit das Ganze über sich selbst hinauswachsen kann.
Wir müssen viel wacher sein für die Andersartigkeit der anderen und bereit, daran zu wachsen, statt ständig unser persönliches Weltbild zu verteidigen. Der Wunsch, Recht zu haben und nichts mehr lernen zu wollen, ist eine der unrühmlichsten, menschlichen Eigenschaften. Wenn ich meine Meinung für die allgemeine Wahrheit halte, wenn ich also glaube zu wissen, was richtig und was falsch ist, brauche ich nicht mehr mit dir in Austausch gehen. Dann versuche ich dich entweder zu missionieren oder warte gönnerhaft darauf, dass du deinen irrtümlichen Kampf gegen das Leben beendest und auf meine Seite kommst. Aber das Leben hat keine Seite. Das Leben ist das Leben und ist verankert in jedem einzelnen Menschen jenseits aller kollektiven Verortungen.
Wahre lebendige Einheit braucht mehr als Toleranz. Erstaunlicherweise las ich heute beim guten alten Goethe fast den gleichen Gedanken. Wenn es nach ihm ginge, dürfte die Toleranz nur eine vorübergehende Gesinnung sein und sollte am Ende zur Anerkennung führen, denn „Dulden heißt beleidigen.“
Ich will diesen Satz nicht mehr vergessen. Ich möchte ihn wie ein Gebet in mir tragen und so jeden Menschen anschauen, von dem unsere Gesellschaft sagt, er sei hier fremd, weil er anders denkt, anders fühlt oder anders lebt.
Dulden heißt beleidigen. Einander erkennen heißt ändern. Nicht ich ändere den anderen. Das Erkennen selbst ändert alles. Das ist der helle Geist der Einheit.
Tom
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