Je älter ich werde, umso mehr neige ich mich dem Wesentlichen zu. Früher dachte ich, wir könnten uns frei entscheiden, was uns im Leben wesentlich erscheint. Inzwischen glaube ich, dass alles Wesentliche gegeben ist bzw. wird. Wir können uns nur entscheiden, wie wir dem Wesentlichen begegnen.
Zwei der wesentlichsten Ereignisse in meinem Leben sind Geburt und Tod. Das eine habe ich schon lange hinter mir, das andere rückt von Tag zu Tag näher.
Ich habe keine Ahnung, wann ich sterben werde und wie und auch keine Angst. Mein Leben lang habe ich Leben erforscht, als Teil davon auch den Tod und ich gehe davon aus, dass er gar nicht so schlimm ist. Aber genau weiß ich es nicht. Ich weiß auch wenig über meine Unsterblichkeit, obwohl ich mich gar nicht so sehr mit dem Körper identifiziere. Ich bin gespannt, was kommt.
Natürlich ist da auch eine gewisse Trauer, wenn ich daran denke, dass ich eines Tages diese wunderbare Welt verlassen werde und all die Menschen, die ich liebe. Wer weiß, ob ich dann alles erledigt haben werde, was ich vorhatte. Eins jedenfalls möchte ich nicht versäumt haben: mich von meinen Freunden zu verabschieden. Und da ich nicht weiß, wann der Moment kommt, voila´, hier ist ein Brief, den ich jetzt veröffentliche, damit er irgendwann vielleicht gelesen wird, wenn ich nicht mehr da bin.
Meine lieben Freunde,
Ich möchte euch mitteilen, dass ich früher oder später sterben werde. Und ich weiß nicht, ob wir uns bis dahin noch einmal sehen werden.
Dies gehört zu den Dingen, die ich im Leben gelernt habe: Wir wissen nie, was im nächsten Moment geschieht. Das zu verstehen, ist Mystik. Und da ich als Mystiker unterwegs war und viele meiner Reflexionen mit euch geteilt habe, möchte ich auch dies hier gerne teilen:
Wenn ich sterbe, werde ich euch weiterhin auf eine tiefe Weise nahe sein. Zumindest wünsche ich mir das, weil ich glaube, dass es in uns allen etwas Unsterbliches gibt.
Ihr habt mich oft von der Seele sprechen hören und davon, dass eine Person ein Knoten innerhalb eines Netzes von Beziehungen ist. Ihr wart das Netz, das mich durchs Leben getragen hat.
Ich nehme von euch Abschied und möchte euch dabei aus tiefstem Herzen dafür danken, dass ihr mich durch die Beziehung, die ich zu jedem Einzelnen hatte, bereichert habt, mehr als das, ihr habt mein Leben erst möglich gemacht.
Ich bin auch all jenen dankbar, die entweder allein oder in Verbindung mit anderen dafür arbeiten, dass die Welt ein schönerer Ort und das Miteinander liebevoller wird. Das war immer mein Anliegen.
Und ich möchte um Vergebung bitten für all jene Momente in unseren Begegnungen, in denen ich nicht mein Bestes gab, weil ich zu feige, zu faul oder zu festgefahren war. Ich war einfach nur Mensch, immer.
Und ich war lange auf der Suche nach dem, was größer ist als der Mensch. Manche nennen das Gott oder die absolute Wahrheit. Aber im Laufe meiner Suche habe ich festgestellt, wenn man die menschliche Geschichte evolutionär einordnet, erkennt man, dass es sich um ein sich entfaltendes Ereignis handelt, das immer in die Zukunft führt. Man erkennt, dass all das so viel größer ist als man selbst. Und dennoch ist alles, was wir tun können, um zu dieser Entfaltung beizutragen, von großer Bedeutung.
Und gleichzeitig dürfen wir uns persönlich nicht zu wichtig nehmen. Wir können so viele Geschichten über uns selbst ansammeln, die überhaupt keine Bedeutung haben, wenn wir sterben. Darum würde ich mich vor all den spirituellen Ideen und Geschichten in Acht nehmen, die wir auf diesem Weg anhäufen. Darum habe ich mir selbst immer wieder gesagt: Gehe einfach nach draußen oder atme, lass den nächsten Gedanken fallen. Was du brauchst, ist bereits hier.
Meine Güte, ich kann’s einfach nicht lassen, so zu tun, als ob ich weise wäre. Ich hoffe, damit niemandem geschadet zu haben.
Ich habe oft vom Bau einer Kathedrale geträumt und mit einigen von euch habe ich tatsächlich an einer solchen gebaut – klein, aber groß genug für ein paar Menschen, die einen neuen Geist in die Welt bringen wollten. Es ist geschehen. Und darüber hinaus …
Stellt euch eine riesige, kosmische Kathedrale des Friedens vor. Vielleicht ist sie aus Stein oder aus menschlichen Begegnungen. Das ist ein gewaltiges, kollektives Unterfangen, das viele Generationen in Anspruch nehmen wird. In unserem Leben können wir hier und da ein paar Steine hinzufügen. Unsere gemeinsame Geschichte als Spezies ist der Bau des Tempels, der uns überdauert, von dem wir aber ein Teil sind.
In anderen Worten: Ich bin dankbar für die Gabe des Lebens, das nur dann Leben ist, wenn es in Gemeinschaft mit anderen gelebt wird: In diesem Geist habe ich meinen Dienst gelebt.
Lieber Tod,
danke für deine gelegentlichen Besuche und für deine Freundlichkeit, nicht hartnäckig darauf zu bestehen, mich gleich mitzunehmen. Danke dafür, dass du mich erinnerst, dass ich dem Unendlichen im Endlichen, dem Göttlichen im Begrenzten begegnen muß. Ich werde eines Tages vielleicht gehen, ohne persönlich Abschied zu nehmen, und niemand wird sich vorstellen können, wie sehr ich geliebt habe, oder das deuten können, was ich in schriftlicher oder mündlicher Form zu sagen versucht habe.
Lieber Tod,
wie soll ich es in Worte fassen, dass sich das Schicksal des gesamten Universums – so empfinde ich es – in jedem Menschenleben ereignet, wenn es am Leben teilnimmt und es widerspiegelt?
Lieber Tod,
Nicht dass ich nicht an andere denken würde, für die mein Tod real sein wird, aber für mich ist er es nicht. Dir eignet keine Realität. Du bist eine Tür. Du bist es, der mich leben lässt. Danke für alles.
Tom
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